Liebe Mitglieder und solche, die es werden wollen,
uns ist bewusst, dass Ihr wahrscheinlich schon seit ein paar Tagen eine Stellungnahme zu dem aktuellen Farben-Dilemma erwartet, aber uns schien es sachgerecht, Euch auch tatsächlich etwas über die Historie, den aktuellen Stand und die möglichen Perspektiven zu unterrichten, statt einfach nur sinngemäß zu schreiben: „Tja, blöd gelaufen. Machste nix – viel Glück für die Zukunft. Alles Gute!!“
Deshalb erst heute etwas dazu:
Zunächst einmal habt Ihr sicher (spätestens jetzt) mitbekommen, dass im Januar 2022 die neuen EU-Regularien – basierend auf der sogenannten REACH-Verordnung – betreffend Tattoofarben in Kraft treten. Einzig das Verbot der beiden Pigmente Blue15 und Green7 wird ein Jahr später in Kraft treten. Und Ihr habt sicher ebenfalls mitbekommen, dass derzeit so gut wie keine derzeit am Markt befindliche Farbe mit den darin aufgestellten Anforderungen kompatibel ist.
Diese Situation – und auch das gehört zu einer ehrlichen Analyse des Status Quo dazu – kommt weder überraschend oder aus dem Nichts noch hat man sie ohne Gegenwehr auf sich zurollen lassen: In denjenigen Gremien, in denen man sich – sei es politisch, sei es wissenschaftlich – mit den Regularien betreffend Tattoofarben auseinandersetzt und auseinandergesetzt hat, sind die nun in Kraft tretenden Vorschriften ebenso bekannt, wie sie es auch allen Farbenherstellern und sonstigen Marktteilnehmern geläufig waren. Das gilt selbstverständlich ebenso für uns. Was man aber sicherlich auch allen Beteiligten ein wenig zu Gute halten muss, ist die Komplexität der Regularien, die es mit vielfältigen Verweisen und Weiterverweisungen auf andere Verordnungen, Einbindung aller möglichen Anlagen und Anlagen zu Anlagen nicht gerade leicht macht (selbst für Fachleute), sie zu verstehen.
Wir haben uns – vor allem durch die European Society of Tattoo and Pigment Research, die den Entstehungsprozess der neuen Regelungen sehr kritisch begleitet hat – mehrfach im Vorfeld geäußert und sowohl auf die Probleme ihrer Umsetzung und die zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen für die Branche aufmerksam gemacht. Zu behaupten, man habe sich (soweit erkennbar) auf EU-Ebene auch nur im Ansatz mit den vielen wohl begründeten Einwänden von Fachwissenschaftlern auseinandergesetzt, wäre unwahr. Insoweit sind wir mehr als glücklich, dass es wenigstens die „Save the Pigments“ – Kampagne vermocht hat, hier einen Fuß in die Tür zu kriegen, der dort auch immer noch steckt! Bitte unterstützt diese auch weiterhin!
Auch wenn es jetzt leicht wäre, in das Blame-Game darüber einzusteigen, wer denn nun trotz Vorhersehbarkeit des aktuellen Zustands was genau versäumt hat (nicht für alle aktuellen REACH-bedingten Substanzverbote oder Substanzgrenzwerte sind allerdings aktuell technische Lösungen bekannt), so erscheint uns das nicht als unsere Aufgabe. Natürlich ist es schon bemerkenswert, dass die wesentliche Gegenwehr gegen die aktuellen Regelungen aus wissenschaftlichem Raum herrührte und von einigen Verbänden und von zwei jeweils individuellen Initiativen ausging.
Die Frage die sich jetzt gegenwärtig für Euch stellt ist: Wie geht die Geschichte denn nun weiter?
Und da müssen wir leider ehrlich sein: Eine wirklich einfache und problemlose Perspektive ist schwer zu vermitteln. Was die jetzt zum Jahreswechsel anstehenden Restriktionen angeht, können wir natürlich nicht ausschließen, dass irgendein Hersteller es heimlich still und leise vermocht hat, sämtliche damit einhergehende Probleme zu lösen und plötzlich im Dezember 2021 mit völlig neuen Farben des gesamten Spektrums auf den Markt kommt, die REACH-konform sind. Aber bekannt wäre uns so etwas jedenfalls nicht – und wir haben unser Ohr durchaus an den insoweit relevanten Stellen. Soweit diese ganzen Schwierigkeiten ausräumbar sind, wird es sicher wohl noch etwas Zeit kosten, bis die Farbenhersteller (so sie dies überhaupt vorhaben) mit entsprechenden Produkten aufwarten können. Wir sind insoweit aber relativ optimistisch, dass die Regeln eines freien Marktes dieses Problem lösen werden. Die offene Flanke, die der Umstand, dass die etablierten Hersteller hier bis dato kaum etwas anzubieten haben, aufgetan hat, wird früher oder später sicher von irgendeinem Marktteilnehmer für den Sprint auf‘s Tor genutzt werden.
Parallel dazu würde sich – aus unserer Sicht – der juristische Weg hier durchaus anbieten. Ohne in die Tiefe gehen zu wollen, ließe sich eine Regelung, welche, ohne auf allzu vielen evidenzbasierten Erkenntnissen zu beruhen, faktisch eine ganze Branche lahmlegt aus unserer Sicht durchaus auch mit rechtlichen Mitteln (z.B. vor dem EuGH) angreifen – und das wohl auch nicht ganz ohne Chancen. Indes müsste dann eben auch eine unmittelbar betroffene Stelle (und der BVT ist eine solche leider nicht) mal auf den Weg machen, und eine der bekannten und bewährten, auf das Europarecht spezialisierten Kanzleien beauftragen – und natürlich auch bezahlen. Auch was diese Option angeht, gibt es im Hintergrund Gespräche – vor allen mit dem Council of European Tattoo Associations und seinen Mitgliedern – und der BVT würde eine solche Initiative sicherlich mit denjenigen Mitteln unterstützen, die wir anzubieten haben (und über ein gewisses Maß an juristischer Expertise und € 3,60 in der Vereinskasse verfügen wir hier auch).
Zu guter Letzt wären einige Probleme – zu denken ist dabei insbesondere an das Pigmentverbot – auch durch eine bessere wissenschaftliche Erkenntnislage lösbar. Nicht wenige der für uns ungünstigen Verbote und Grenzwertbestimmungen beruhen mehr auf Vermutungen als auf Wissen. Auch insoweit könnte es ein probates Mittel für die ein oder andere Regelung sein, etwas Geld in die Hand zu nehmen und z.B. vernünftige Sicherheitsdossiers für einzelne Stoffe erstellen zu lassen. Insgesamt kann man nur dazu aufrufen, Forschungsvorhaben in diesem Bereich wo es geht zu protegieren.
Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Davon wird nichts innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten erfolgreich sein. Letztlich wird die Branche derzeit kaum etwas anderes tun können, als mit einem langen Atem den eigenen Betrieb irgendwie aufrechtzuerhalten und zu hoffen, dass sich die Vollzugsebene betreffend die neuen Regeln als weniger belastend darstellt als die Normebene.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass sich die nun existierenden Probleme letztlich lösen lassen. Tätowieren stirbt nicht und bis jetzt ist die Tattobranche noch jedem Evolutionsdruck gewachsen gewesen. Wir werden uns selbst natürlich jeder/jedem Betroffenen als Ansprechpartner anbieten. Wir werden jedes vernünftige Unterfangen, das ein oder andere Problem zu lösen sicher mit all unseren Mitteln unterstützen und vor allem werden wir auch gern entsprechende Initiativen koordinieren – denn hier wäre wirklich mal ein Punkt, an dem die Tattooszene auch zeigen kann, was mit Zusammenhalt jenseits wortreicher Bekundungen machbar ist.
Bleibt Wacker! Gebt bitte nicht auf! Es ist nur eine Phase!